Die 5 Kernkompetenzen der Industrie 4.0

Der Begriff Industrie 4.0 wurde im Jahr 2011 auf der Hannover Messe zum ersten Mal verwendet und ein Jahr später in die Förderung durch die Bundesregierung mit übernommen. So gesehen scheint dieses Release sehr beständig sein, oder haben wir die Updates auf Industrie 4.1 und 4.2 nur verpasst?

Die Zahl „4“ steht für die nächste Evolution in der Industrie. Zuerst waren es die Dampfmaschinen, die die Industrie erst möglich machten. Dann kam die Massenfertigung am Fließband, gefolgt von der Automatisierung der Produktion.

Zunächst schien es nur ein weiterer Hype zu werden. Unzählige Publikationen wurden veröffentlicht und es war nicht klar zu erkennen, was genau das Revolutionäre sei an diesem Trend. Auch Hersteller sprangen mit auf den Zug und machten es nicht einfacher, die Idee hinter Industrie 4.0 zu verstehen. Zudem ist es ein Begriff, der in Deutschland geprägt wurde. International ist von IoT, dem Internet der Dinge, die Rede.

Bei genauer Betrachtung lässt sich Industrie 4.0 kompakt mit fünf Kernkompetenzen beschreiben:

  1. Vernetzung
  2. Echtzeit
  3. Smart Services
  4. Kundenfokussierug
  5. Proaktivität

Vernetzung

Durch neue Technologien ist es nun möglich, unterschiedlichste Systeme zu vernetzen. Und damit ist nicht nur die Kommunikation von Maschine zu Maschine gemeint. Auch die Vernetzung von Mensch, Maschine und Prozessen kann nun realisiert werden. Darüber hinaus geht die Vernetzung über klassische Systemgrenzen hinaus. Lieferanten und Kooperationspartner übergeben Daten an den Hersteller, der wiederum Informationen mit dem Kunden austauscht. Dabei kann es zu interessanten Konstellationen kommen. Kooperationspartner in speziellen Segmenten sind gleichfalls Wettbewerber in anderen Bereichen. Auch nicht mehr undenkbar, dass der Kunde von heute, morgen zum Konkurrenten wird. Ein Beispiel hierfür ist die Deutsche Post AG, die mit dem Streetscooter zum Fahrzeughersteller mutierte und zu ihren eigenen Kunden und ehemaligen Lieferanten wie Volkswagen in Konkurrenz tritt.

Echtzeit

Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Industrie 4.0 ist Echtzeit. Nur wenn relevante Informationen in Echtzeit zur Verfügung stehen, kann ein Unternehmen in kurzer Zeit Bewertungen vornehmen und zeitnah Entscheidungen treffen. Dies bedingt, dass selbst entfernt betriebene Sensoren ausreichend Daten senden. Eine essentielle Rolle kommt den nun neu geschaffenen digitalen Plattform zu. Diese konsolidieren die Log-Daten und stellen sie zur weiteren Verarbeitung an definierten Schnittstellen zur Verfügung. Daten werden zum neuen Gold im digitalen Zeitalter.

Smart Services

Durch die Auslagerung ganzer Prozessketten entstehen neue Geschäftsmodelle. Viel zitiert ist hier das Beispiel von Rolls Royce, die ihre Triebwerke nicht mehr an die Fluglinien verkaufen, sondern nur noch den Gebrauch derer in Rechnung stellen. „Pay-Per-Use“ räumt dem Kunden größere Flexibilität ein. Dem Lieferanten bescheren diese Modelle wiederkehrende Einnahmen und eine tiefere Integration in die Kundenprozesse, wodurch wiederum eine stärkere Kundenbindung entsteht. Zudem kann der Lieferant im Ersatzteilgeschäft nicht durch ein Nachahmerprodukt ersetzt werden. Im Idealfall handelt es sich hier um eine Win-Win-Situation.

Kundenfokussierung

Ein grundsätzliches Hauptanliegen liegt im Wunsch, Kundenanforderungen stärker in den Fokus zu rücken und flexibler auf Sonderwünsche reagieren zu können. Man spricht hier häufig von der Möglichkeit, auch in einem Massensegment eine Losgröße 1 anbieten zu können, d.h. den Kunden mit einem hohen Grad an Individualisierung zu gewinnen. Zudem hat neuerdings der Lieferant einen Wettbewerbsvorteil, der bis kurz vor dem Fertigungsprozess noch auf Änderungswünsche reagieren kann.

Proaktivität

Mit dem Sammeln von Daten und deren Bewertung in Echtzeit können Abweichungen frühzeitig erkannt werden. In Korrelation mit Erfahrungswerten ist es nun möglich, den Verschleiß einer Maschine proaktiv vorauszusagen, bevor ein Ausfall hohe Kosten verursacht. Wenn ein Fräskopf in einer CNC-Maschine gewisse Vibrationen verursacht, ist dies ein Indiz, dass in naher Zukunft ein Ersatz notwendig wird. Ist die Sensorik in der Lage, dies zu detektieren, kann bereits der Bestellprozess für ein Ersatzteil ausgelöst werden, bevor es zu einem Ausfall kommt. Die Vorteile liegen auf der Hand. Die Maschinenlaufzeiten können optimiert werden, Ausfallzeiten werden minimiert und Lagerverwaltung wird durch automatisierte Ersatzteilversorgung deutlich reduziert.

Wenn Sie bislang auf das Wort „aber“ gewartet haben, werden Sie nicht enttäuscht. Aber wie sieht es mit der Sicherheit aus?

IT-Sicherheit und Industrie 4.0

Das ist eine elementare Frage. Gerade die Vernetzung von Menschen, Maschinen und Prozessen bietet unzählige Schnittstellen, die gegen Missbrauch abzusichern sind. Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen Kunden, Hersteller und Lieferanten verschwinden. Daten werden aus allen Bereichen gesammelt und verarbeitet. Da stellt sich nicht nur die Frage, wer berechtigten Zugriff auf diese Daten hat.

Das beginnt schon bei der Frage, wo diese Daten gespeichert werden und wie viele Kopien es davon gibt. Die neue EU-Datenschutzgrundverordnung garantiert dem Verbraucher auch das sogenannte Recht des Vergessens, d.h. der Endanwender kann den Anbieter auffordern, personenbezogene Daten gezielt und umfänglich zu löschen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn auch bekannt ist, an welchem Ort die Daten gespeichert sind. In einer vernetzten Wertschöpfungskette wird dies zunehmend schwieriger.

Das Platzieren von Firewalls an Segmentsgrenzen mag ein guter Ansatz sein, es wird allerdings bei weitem nicht ausreichen. Bereits bei der Konzeption muss die IT-Sicherheit mitberücksichtigt werden, sonst ergibt sich nur ein bunter aber löchriger Flickenteppich. Wichtig ist hier eine kooperative Zusammenarbeit von Produktions- und IT-Sicherheitsexperten. Technische Ansätze müssen auf allen Ebenen der Kommunikation bis hin zur Applikation in der Lage sein, Anomalien zu erkennen. In der Praxis muss deutlich zwischen „trusted“ und „untrusted“ zu unterscheiden sein. Lieferanten müssen früh in die Konzeption eingebunden werden. Sinnvoll ist auch die Zusammenarbeit mit externen Experten wie Managed Security Providern, die durch die Erfahrung über eine breitere Kundenbasis das Sicherheitsniveau über Systemgrenzen hinweg kontinuierlich verbessern.

Fazit

Die Entwicklung hin zu stark vernetzten Systemen wird nicht zu verhindern sein. Man sollte es auch nicht versuchen, da sich durchaus große Vorteile ergeben. Allerdings sehen Sie als Leser hier wahrscheinlich auch schon mögliche Risiken. Umso wichtiger ist es, die IT-Sicherheit und den Datenschutz schon ab der ersten Konzeptphase zu berücksichtigen. Holen Sie bereits in der Planungsphase einen Fachmann für IT-Sicherheit mit in das Projektteam und fordern Sie sich auch den Rat externer Experten ein.

Organisatorisch ist meine Empfehlung:

  • Erstellen Sie ein möglichst detailliertes Berechtigungskonzept
  • Etablieren Sie ein skalierbares Schwachstellenmanagement
  • Nutzen Sie Auswertungsmöglichkeiten, um aus Ihren Daten Anomalien zu erkennen. Ein Nebeneffekt wird sein, dass Sie Ihre gelebten Prozesse durch die neugewonnene Transparenz besser verstehen und iterativ optimieren können.
  • Erst danach empfehle ich Ihnen, in die Detailplanung zu gehen wie z.B. die Segmentierung einzelner Abschnitte voranzutreiben.
  • Holen Sie externe Experten mit ins Boot. Sie müssen das Rad nicht neu erfinden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

CAPTCHA *